Verschobene Wahrnehmung bei der Musikproduktion

„Musik machen kann heutzutage doch jeder!“, habe ich schon Menschen sagen hören, die selbst nicht einmal ein Instrument spielen können. Zugegeben, es ist sehr einfach geworden sich mit wenig Geld ein kleines Heimstudio zu bauen. Im Grunde genügt heute ein Tablet oder ein Laptop mit passender Software. Dort wirft man dann einige Loops aus einem freien oder gekauften Paket zusammen, und schon hört sich das Ergebnis ganz passabel an. Da wundert es nicht, dass viele den Eindruck gewinnen, jeder könne Musik machen! Doch ist das so? Was bedeutet es eigentlich „Musik zu machen“? Gibt es da Unterschiede? Oder geht es grundsätzlich nur darum, irgendwelche Klänge zu erzeugen? Kann das nicht auch eine KI schon besser als der Mensch?

Die bekannten Größen im Musikbusiness verdienen mit dem Verkauf ihrer Werke, den Konzerten und dem Merchendising ihr Geld. Musik wird hier zielgerichtet für ein Publikum produziert. Gehört und geliebt von abertausenden Menschen, muss deren Musik dem entsprechen, was allgemein als „professionell“ gilt. Professionell wurde einst nur in großen Studios gearbeitet, durchgeführt von Profis, die ihre Tätigkeit meist auch gelernt haben. Viele musten dafür studieren gehen – mit guten Grund! Zuhause ging das nicht. Kleine Produktionen hörten sich entsprechend weniger glamourös oder gar „mies“ an. Erstrecht das, was mancher in seinem Wohnzimmer zusammenklebte. Das hat sich inzwischen deutlich verändert. Mittlerweile kommt vieles „Out of the Box“. Die Klangerzeugung erfolgt vollständig im Computer. Auch das aufzeichnen von Instrumenten und Vocals lässt sich durchaus brauchbar Zuhause realisieren. So ist der Klang von Produktionen aus dem Heimstudio auf ein Niveau gehoben worden, dass für den durchschnittlichen Musikkonsumenten durchaus ausreichend ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder „einfach mal so“ einen Welthit produzieren kann – auch wenn das durchaus vorkommt. Ebenfalls ist es nicht damit getan (bis auf Ausnahmen), einfach mal schnell ein paar Loops aneinander zu reihen. Man muss schon wissen, was man tut.

Ich sehe häufig Missverständnisse, sowohl bei den Musikhörenden, als auch bei den Musikproduzierenden. Es ist keineswegs einfach, gute und individuell neue Musik zu produzieren. Es gehört sehr viel dazu, begonnen beim musikalischen Verständnis, über die Technik, bis hin zum fertigen Lied. Es gibt unzälige Details zu beachten, im Arrangement, im Mix und im Mastering. Der Konsument (als Laie) kann sich den Aufwand kaum vorstellen. Auch Neueinsteiger im Musikbusiness haben hier zu Anfang oft falsche Vorstellungen. Die Meisten nehmen es zu leicht, wieder andere verzweifeln daran. Aber zunächst noch einen Blick auf die Frage, wie Musik eigentlich gehört wird.

Die Art, wie heutzutage (aus Sicht des Jarhes 2023) Musik konsumiert wird, ist allgemein eher ein „Fast-Food“ Prinzip. Heute hört ein Großteil der Menschen nicht mehr von CD, Schallplatte oder Band. Es wird über das Internet „gestreamt“. Zwar wurde die darreichungsform der Streamingplattformen in den letzten Jahren qualitativ deutlich besser, doch der Signalweg bis zum Ohr lässt weiterhin Wünsche offen. Zugegeben, mobiles Musikhören war noch nie ein Gebiet für Audiophile. Dennoch kommt von der Qualität des Studios, beim Ohr des Zuhörenden traditionell nur ein Bruchteil an. Die ganze Motivation, Energie und Kunst der teuren Produktionen verpufft irgendwo am schwächsten Glied der Kette. Das sind die Zuhörenden inzwischen gewohnt. Es ist also völlig normal geworden, also teil der realen Welt, und somit auch Maßgeblich bei der Frage, wie hoch die Qualität einer Produktionen überhaupt sein muss!

Die Musik aus den Produktions-Wohnzimmern dieser Welt klingt heutzutagen oft schon nahe an dem, was man früher nur von großen Studios kannte. Um dieses Ergebnis zu erreichen, müssen die Produziernden aber weit mehr machen, als mal eben eine Software starten und ein paar Knöpfe drücken. Und genau hier sehe ich das Missverständnis. Bis ein Song wirklich gut klingt, vergeht eine Menge Zeit. Denn die Fähigkeiten die man besitzen muss um einen Song richtig gut klingen zu lassen, muss man erstmal erlernen, entwickeln und umsetzen können. Das kommt nicht von heute auf morgen. Bei großen Studioproduktionen sind sehr viele Menschen beteiligt, die oft jahrzehntelange Erfahrung besitzen. Der Einzelne Zuhause muss all diese Fähigkeiten in einer Person vereinen. Das geht natürlich nicht mal eben so! Dazu gehört ganz viel Enthusiasmus… und viel, viel Zeit!

Wenn ich auf meine eigenen Produktionen blicke stelle ich fest, es wird von Song zu Song besser – hoffe ich. Nicht immer gelingt mir das, was ich mir vornehme. Nicht jeder Song nimmt den gleichen Verlauf. Ich habe keinen perfekten Workflow. Vieles ist experimentell. Das muss nicht schlecht sein, denn in der Musik gibt es oft kein klares „richtig“ oder „falsch“. Das Ergebnis muss funktionieren! Zumindest sollte es so sein. Gerade wenn man am Anfang steht und beginnt Musik zu produzieren stellt man fest, dass man eigentlich keine Ahnung hat. Nichts klingt richtig gut. Auf jedem Gerät hört sich die Musik anders an. Es klingt unausgewogen. Es dröhnt oder es ist zu flach. Da kann die Verzweiflung schonmal groß werden. So stellt sich schnell die Frage, warum ist dies so? Und vor allem fragt man sich „Wie bekomme ich das in den Griff?“

Was folgt sind monatelange Versuche. Viele verfallen dabei dem Irrglauben, sie müssen nur mehr Geld investieren, in noch bessere Software oder Geräte. Doch das macht es nicht zwingend besser. Es werden Video-Tutorials im Web geschaut, vielleichtg sogar mal ein Buch gelesen. Doch der Durchbruch bleibt aus. Wiederholt findet man die gleichen Tipps und Ratschläge, kommt aber nicht so richtig voran. Erst nach langer Zeit und unzäligen Versuchen scheint sich, ganz langsam, eine Verbesserung zu zeigen. Im Grunde liegt das vor allem an der Tatsache, dass die Erfahrung, durch Versuch und Irrtum, hier Wirkung zeigt. Das alles benötigt vor allem eines: Zeit! Die Grundlagen der Tontechnik sind weit komplexer und oft schwerer zu verstehen, als viele dies glauben möchten. Das verstehen einer theoretischen Grundlage alleine macht noch keinen perfekten Klang. Musik ist organisch. Musik produzieren ist Arbeiten an einem komplexen Organismus. Es gibt keinen einfachen Weg! Und auch hier sollte man bitte nicht dem Dunning-Kruger-Effekt erliegen!

Viele die gerne Musik hören gehen davon aus, dass gute Musik an einem guten Arrangement hängt. Rhytmus, Melodie und ggf. Text müssen „gut gemacht“ sein. Die wenigsten sind sind darüber im klaren, was Sound-Design, Mixing und Mastering hierbei für eine Rolle spielen. Auf der anderen Seite gibt es Produzierende, die in ihrem Heimstudio an dem perfekten Klangbild feilen und dann enttäuscht sind, wenn niemand ihre Musik zu schätzen weiß. Das Problem ist leider, dass die vielen Stunden Arbeit, die man möglicherweise in sein Projekt gesteckt hat, vom Höhrer meist überhaupt nicht wahrgenommen werden. Dies liegt schlicht an der Tatsache, dass sie nichts davon verstehen. Das darf man ihnen aber nicht zum Vorwurf machen. Musik hört sich für sie immer „perfekt“ an, und das bei zig tausenden von Titeln und über Jahrzehnte. Sind Melodie und Rhytmus eingängig und begeistern den Zuhörenden, spielt die Klangqualität oft nur eine Nebenrolle. Der Konsument wünscht sich, „abgeholt“ zu werden. Der Song muss begeistern können, muss emotionen wecken, muss im Ohr bleiben. Sicher ist dieser Wunsch auf beiden Seiten zu finden, aber mit ganz unterschiedlicher Ausprägung. Doch in welchen Zusammenhang ist das denn besonders wichtig? Wenn man damit Geld verdienen will!

Nachdem ich nun einige Titel produziert und veröffentlich habe stelle auch ich mir die Frage, wie es weitergeht. Zum Zeitpunkt da ich diese Zeilen hier tippe muss ich zugeben, dass ich weiterhin keine nennenswerte Zahl an Zuhörern habe. Dies liegt primär daran, dass ich keine Werbung mache. Da ist niemand der mich „pusht“, kein Promoter, keine Plakate, keine Radiowerbung oder ähnliches. Meine Musik liegt bei quasi allen Streamingportalen. Jeder weltweit kann darauf zugreifen. Es könnte sein nächster Lieblingssong dabei sein, ich könnte sogar berühnt werden! Leider findet meine Musik niemand. Was sollte ich also tun? Die sozialen Medien können manches Werk binnen weniger Stunden zu einem gehypten Erfolg führen. Doch meine Beiträge finden nur wenige Leser und werden nicht geteilt. Es ist ein Gefühl, als würde man mir die Hilfe verweigern. Aber so darf man es keineswegs bewerten! Man kann die Menschen nicht nötigen Beiträge zu teilen, die sie möglicherweise nicht interessieren. Oft ist es ihnen auch gar nicht bewusst, wie hilfreich es wäre. So trete ich auf der Stelle, wie so viele. Da spielt es keine Rolle ob ich perfekte oder mieserable Musik produziere. Wenn niemand da ist der sie hört, niemand darüber spricht, dann bleibt sie ungehört. Doch Werbung kostet Geld, und als unbekannter Kleinkünstler hat man letztlich nur die Kosten, aber keine Gewinne. Zumindest zunächst. Doch auch Werbung bedeutet noch keinen erfolgreichen Vertrieb! Daher sollte jede Investition hier gut überlegt sein.

Die Verdienstmöglichkeiten durch das Streamen der Musik ist ohnehin ein sehr schwieriges Geschäft. Selbst die ganz großen und bekannten Stars haben das Problem, dass sie nur noch über Merchendising und Konzerte nennenswerte Erträge erzielen. Die Streaming-Portale wefen vergleichsweise wenig ab. Wenn z.B. Spotify pro Stream im Schnitt 0,2 cent, also 0,002 € abwirft, bekommt man für 1000 Streams gerade mal 2 €. Wer pro Jahr 1.000.000 Streams hat, verdient hier gerade mal 2.000 €! Das ist vernachlässigbar wenig (die Einnahmen variieren stark, da die Ausschüttung bei Spotify vom Abo-Preis des jeweiligen Landes abhängt, in dem der Titel gesptreamt wurde). Als Kleinkünstler hat man auf Spotify vielleicht mal ein paar hundert oder ein paar tausend Streams pro Jahr – das wirft kaum etwas ab. Wer Glück hat, deckt damit eventuell die Kosten der Bereitstellung. Es ist ja nicht so, dass man seine Musik kostenlos auf den Portalen platzieren kann. Nein, da steht ein Distributor dazwischen und der verdient damit sein Geld. Viele nehmen gar einen prozentualen Anteil der Einkünfte. Definitiv nichts, womit der kreative Musikschaffende reich werden kann. Eigentlich kein lohnendes Geschäftsmodell.

Wenn ich es ganz realistisch betrachte, werde ich vermutlich nie Geld mit meiner Musik verdienen. Die Wahrscheinlichkeit einen Hit zu landen erscheint mir viel zu gering. Ich bin dafür zu wenig zielgerichtet mit meiner Musik, erreiche kein großes Publikum und bin auf die reine Online-Vermarktung beschränkt. Ich müsst mir eine konkrete Zielgruppe auswählen und meine Musik speziel hierfür produzieren. Genau das ist es, was seit Jahrzehnten gemacht wird. Durch das Online-Streaming hat sich diese Situation massiv verschärft. Durch die unglaubliche Menge an neuen Produktionen die jeden Tag veröffentlich werden, ist der Konsument auf kuratierte Playlisten angewiesen. Und diese werden erstellt, man muss nur auf eine solche Playliste kommen. Und das geht, man ahnt es schon, nur gegen Bezahlung (abgesehen von den privaten Listen).

Experimentelle Musik und neue Stile finden in diesem Markt kaum mehr Gehör. Ich möchte behaupten, dass ein großteil der erfolgreichen Musik, die bis in die frühen 2000er produziert wurde, heute den Markt nicht mehr erreichen würden. Einziger Lichtblick sind hier die wieder wachsende Zahl an Schallplattenläden. Nicht, weil die Schallplatte das uneingeschränkt bessere Tonmedium wäre, vielmehr weil hier der Kunde ganz anders konsumiert. Wer in den 1960ern zufällig über ein Pink Floyd Album im Laden stolperte, kaufte es vielleicht wegen seines auffälligen Covers. Auch in Musikzeitschriften wurde vieles beworben, das heute niemanden mehr erreichen würde. Zu viel geht meines Erachtens derzeit unter und dadurch möglicherweise verloren. Musik ist hochkommerzialisiert. Vieles dessen, was wie ein zufälliger Fund mit steilem Aufstieg aussieht, ist letztlich doch nur ein kluger Schachzug der großen Labels. Doch das Internet ist groß und immer mal wieder gibt es spontane Entdeckungen. Ja, es ist anders als früher. Einerseits leichter für den Einzelnen bekannt zu werden, andererseits schwerer, weil der Markt von Großkonzernen gelenkt wird. Nochmals das Beispiel Spotify; da wird der Produzent indirekt genötigt, kürzere Spielzeiten zu generieren und den Zuhöhrer innerhalb der ersten Takte sofort zu begeistern und dann muss er ihn bei Laune halten, damit der Track möglichst lange gespielt wird. Das hat die Art der Musikproduktion sehr stark verändert – meines Erachtens nicht zum besseren!

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